Samstag, 4. September 2010

Ein Anfang

Hey,
Das hier könnte der Anfang zu einem längeren Text werden. Lest ihn euch einfach Mal durch und gebt eure Meinung ab. Ich freu mich auf eure Rückmeldung.

Viel Spaß beim lesen..
.


Es war schon spät am Nachmittag und meine Schritte hallten schwerfällig durch den verlassenen Gang. Langsam und behände, als könne bloß eine winzige unbedachte Bewegung die zahllosen Schätze aus Papier und Tinte vor mir zerstören, schlenderte ich an den alten Regalen der Buchhandlung entlang und durchstöberte die breiten Fächer, die mich sanft in Sicherheit wogen.
Eine Hand streifte leicht die Buchrücken, der Geschichten vergangener Zeiten. Geschichten, dessen grenzenlose Phantasie seit Anbeginn die Menschen träumen lässt. Jedes einzelne durchströmte meinen Körper und lies mich ehrfürchtig erschaudern, denn ich fühlte ihre Narben und spürte den Schmerz, der langsam an mir zerrte. Es war so wie immer. Nichts hatte sich verändert, und doch…
Betrübt hielt ich inne und atmete tief ein. Ein flüchtiges Lächeln zierte mein Gesicht. Jetzt konnte ich es wieder riechen. Das gewohnte Parfüm aus vermodertem Holz und vertrockneter Tinte drang in meine Nase und beflügelte meine Sinne. All das war mein Zuhause.
Die Holzbretter unter mir und das windschiefe Haus erzählten jene geheimnisvollen Geschichten, die versteckt zwischen den Mauern lauerten. Jede noch so unscheinbare Ecke war mit Wissen von unermesslichem Wert gefüllt. Von den dunkelsten Kammern bis zum höchsten Dachgiebel türmten sie sich auf. Manche größer, mache kleiner. Es gab welche, die nicht einmal größer waren, als eine Hand und wieder welche, die gar nicht erst durch die Eingangstür passten. Obgleich sie alle verschieden waren, würde ihre Vergangenheit, die mit größter Sorgfalt in aufwändig verzierte Regale einsortiert wurde, nie vergehen.
Meister Hicks’ Büchersammlung, die seit mittlerweile siebzehn Jahren mein zweites Zuhause geworden ist, erstreckte sich über tausend kleiner Gänge und war ein undurchschaubares Labyrinth aus Regalen und Tischen. An machen Ecken konnte man sich sogar auf einem fast zerfallenen Sessel entspannen und der Ruhe der Bücher lauschen.
Es war nicht der größte Buchhandel der Stadt, doch mit über zwei Stockwerken und einer Büchersammlung, die sich über Jahrhunderte erstreckte, eindeutig die Beste.
In der Altstadt, tief zwischen den engen und zauberhaften Gassen aus Kopfsteinpflaster lag es. Hier war der wahre Schatz unserer Stadt. Dort neben einem Antiquitätengeschäft und einem Uhrmacher wurde damals ein prachtvolles Siedlerhaus erbaut. Ein großes und erhabenes Gebäude, das früher ein Zentrum für Bildung war und täglich von Menschmassen gestürmt wurde, die ihren Wissensdurst stillen wollten.
Nun, nach all den Jahren, wurde es allmählich ruhig um Meister Hicks Buchhandlung. Spinnenweben hatten sich gebildet und die Zeiten sind gewandelt. Man konnte nur noch mit größter Phantasie die einstmalige Pracht des Hauses erahnen. Kletterpflanzen, lose Fenster und ein undichtes Dach lassen das vergessene Siedlerhaus schon von weitem ausmachen.
Das Haus hinter einem leicht nebligen Schleier der Vergangenheit interessierte niemanden mehr. Außer Tiere, wie Mäuse und Vögel nutzte die Buchhandlung kaum noch jemand.
Aber dennoch, kommt es schon mal vor, dass sich von Zeit zu Zeit ein ahnungsloser Mensch in die tiefen Höhlen der Geschichten verirrt. Denn die Magie an diesem Ort noch nach all den Jahren allgegenwärtig.

Unschlüssig und immer noch verwirrt blieb ich vor den Romanen stehen. Meine Augen schwirrten auf und ab, während ich in Gedanken versunken und doch mit einem prüfenden Blick die Buchrücken abklapperte. Ich versuchte mich zu Konzentrieren, doch die Bilder flogen, wild und durcheinander, wie ein Sturm, der in meinem Kopf ganze Bäume mitriss.
Es waren zu viele Bilder um sie zu zählen. Schließlich brach ich erschöpft nach mehreren Anläufen ab und fuhr mir durch das trockene Haar. Es nützte nichts. Ich musste unwillkürlich an den alten Hicks denken.
Hicks, der Büchermeister, wie ihn einige nannten, war ein netter alter Mann, der mir damals den Vater ersetzte. Er lernte mir Bücher zu hüten und zu pflegen und weihte mich in die tiefsten Geschichten unserer Zeit ein. Ich hatte ihn in letzter Zeit für meinen Geschmack zu wenig besucht, doch das lag nicht an ihm. Auch wenn der alte Kauz nicht immer seine Gedanken ordnen konnte und ein bisschen unheimlich wirkte, war es doch Jenkis, der junge Geselle, der mich abschreckte. Ich hasste mürrische Menschen, denen die Welt nichts bedeutete.
Jedoch musste ich eingestehen, dass Meister Hicks mehr Hilfe brauchte denn je. Ich konnte ihn nicht so einfach loslassen, auch wenn er es so wollte. Schon jetzt machte ich mir Vorwürfe ihn im Stich gelassen zu haben.
Ich machte mir einfach zu viele Gedanken. Wahrscheinlich würde er sich wieder beruhigen. Er brauchte nur etwas Zeit. Auch ich sollte jetzt klaren Kopf bewahren. Ich hatte nun ein eigens Leben, das ich versuchte irgendwie auf die Beine zu stellen. Obwohl sich diese Aufgabe als nicht so leicht herausstellte.
Ich zog ein Buch auf Augenhöhe hinaus um ein bisschen durchzublättern und auf andere Gedanken zu kommen. Hier in der Buchhandlung konnte ich wieder neue Energie schöpfen und meine nächsten Schritte sorgsam planen. Kurz schaute ich mich um, doch wie erwartet, konnte ich mich hier alleine den magischen Worten hingeben und entspannen. Der Gang war lang und eine fast schon erschreckende Stille lag über dem Raum. An den großen Kirchenfenstern waren die Vorhänge fast zugezogen und nur der Schein der Lampe spendete etwas Licht. Es reichte gerade aus um sich vor der realen Welt zu verkriechen und sich eine andere, eine völlig neue Umgebung zu schaffen. Sie mag Absurd sein, oder gar wundervoll. Nicht mehr und nicht weniger. So wie ich es wollte. So wie ich es liebte.
Das Buch mit dem Titel „Das Schicksal“ machte mit seinen Ornamenten und der mittelalterlichen Schrift einen vertrauten Anblick. Mühsam und mit aller Vorsicht, zog ich es hinaus und hielt es wie ein Schatz in den Händen. Ein paar Staubkörner lösten sich aus den Seiten und das Buch schien im hellen Licht der Lampe zu Schimmern.
Ich schaute es schief an und musste kurz überlegen.
Nie wirklich hatte ich mir Gedanken darüber gemacht wie viel Arbeit eigentlich in ein paar Seiten Papier und einem Einband stecken konnte. Dann seufzte ich wieder. Ich hatte meiner Arbeit wohl einfach zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Die letzten Tage waren Anstrengend für mich gewesen. Mit leichter Trauer blickte ich zurück auf meine Vergangenheit und gestand ein, dass nun ein neues Leben auf mich wartete. Egal was kommen mag. Hicks hatte mich darauf vorbereitet und ich würde es mit offenen Armen empfangen.
Ich lies das Buch kurz sinken und massierte meine Schläfe. Mein ganzer Körper war ein Pflegefall und meldete sich mit einem unangenehmen Stechen an jeder nur erdenkbaren Stelle, dass er Entspannung brauchte. Auch mein Nacken war leicht verspannt, sodass ich den Kopf langsam zur Decke bewegte um ihn wieder einzurenken. Die Augen rollten zu dem Bücherregal vor mir, als…
Ich es sah.
Mit großem Entsetzten blickte ich hoch zu dem Regal und machte plötzlich einen Schritt rückwärts. Meine Pupillen weiteten sich auf ein unnatürliches Ausmaß und instinktiv zuckte ich zusammen. Ich erschrak, stolperte über meine eigenen Füße und hielt mich an dem Regal hinter mir fest um nicht umzufallen. Einige Bücher, die ich unabsichtlich mitriss, fielen auf den Boden und polterten auf mir herab. Mein Atem hallte laut durch den Raum und wurde schneller.
Leichte Panik erfasste mich. Dabei konnte ich nicht einmal erkennen, was ich genau gesehen hatte. Es ging alles zu schnell. Ich zwang mich ruhig zu bleiben und leise zu sein. Dort, auf den Boden, verharrte ich und traute mich nicht zu bewegen. Hektisch blickte ich in alle Richtungen um mich bereit zu halten.
Doch es passierte nichts.
Als Stille einkehrte und ich mich wieder fing, starrte ich sofort hoch zu dem Loch, das nun vor mir entstanden war. Für einen kurzen Wimperschlag blieb mein Herz stehen und ich stellte das Atmen ein.
Was nun passierte, waren vielleicht nur Sekunden, doch es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Genau im gegenüberliegenden Regal, zwischen einer Sicht Bücher und mehreren Holzbrettern, hinter einer dicken Wolke Staub und zwischen einem Liebesroman und einem alten, fast zerfallenen Buch über Gedichte. Dort hatte jemand zur gleichen Zeit und an der gleichen Stelle ein Buch genommen und starrte mich nun verdutzt mit großen Augen an.
Es war ein Mädchen.
Mein Herz begann wieder zu schlagen. Nun viel heftiger als je zuvor. Ich war erleichtert über die Erkenntnis, aber immer noch skeptisch. Der grelle Schein der Lampe blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen und konnte es im ersten Moment nicht glauben. Pessimistisch, wie ich war hielt ich das Mädchen für eine Spielerei meiner Phantasie, oder eine Einbildung meiner Kopfschmerzen. Doch als ich genauer hinsah, blickte ich wahrhaftig in das kleine Gesicht eines nicht viel jüngeren Mädchens.
Ich lag unverändert an dem Regal angelehnt und entspannte mich nun. Vorsichtig, doch trotz allem wachsam richtete ich mich wieder auf und ging einen Schritt vorwärts um sie genauer betrachten zu können. Hinter mir hinterließ ich einen Anblick der Verwüstung indem sonst so aufgeräumten Regalen. Doch weder den Büchern, noch der Unordnung schenkte ich meine Aufmerksamkeit.
Schlagartig blieb ich, kurz vor dem Loch, das sich zwischen uns befand, stehen. Noch immer von dem Schock verwirrt starrte ich geradeaus durch die Bücher. Die Lücke war direkt auf Augenhöhe, sodass wir perfekt zur anderen Seite durchschauen konnten und als sich zufällig unsere Augen trafen passierte es. Plötzlich erstarrten wir beide mit einem Gefühl von Neugier und Erstaunen zu Stein. Es war wie Magie, sagte ich mir nachher, obgleich ich den Glauben daran schon vor Jahren verloren hatte.
Ich blickte lediglich in zwei kleine braue Augen. Sie schienen zu funkeln und bezauberten mich. Das Mädchen hatte mich verzaubert.
Wie Statuen hielten wir kurz inne, als hätte man uns hypnotisiert und vergaßen die Welt um uns herum. Für diesen Moment gab es nur uns beide. Wir konnten die Blicke nicht mehr voneinander wenden. Die Bücher, das Haus, mein Leben. All das war in Betrachtung des Mädchens verloren gegangen und befand sich zu weit um Wichtig zu sein. Die Zeit blieb stehen und der Wind, der sonst heulend durch die Bretter zog, beruhigte sich um den Gefühlen zu lauschen. Es war wunderbar und unbeschreiblich, bis unsere Träumerei von einem dumpfen Aufschlag erschütterte wurde. Ohne es zu wissen, hatten wir automatisch unsere Bücher fallen lassen, die nun ausgebreitet auf den Boden lagen. In Sekundenschnelle wurden wir aus dem Moment der Trance ruckartig wieder in die Wirklichkeit katapultiert. Es war vorbei und sogleich spürte ich, dass mich die Realität wieder überlistet hatte.
Ich hob das Buch hektisch auf und richtete mich dann langsam wieder zu der Bücherlücke vor mir. In Gedanken baute sich meine Aufregung immer größer auf und ich tadelte mich für meine Unachtsamkeit. Meine Hände fingen an zu zittern und ich holte tief Luft, bevor ich wieder auftauchte. Du schaffst das.
Beim besten willen konnte ich es nicht fassen. Dieses Mädchen war wunderschön und starrte mich gerade an, als würde sie auf etwas warten. Es….Oh mein Gott. Als ich erkannte hatte wie dumm die Situation eigentlich war schaute ich verlegen beiseite und errötete. Ich hielt das Buch, mit beiden Händen fest vor mich, als könne es mich beschützen.
Man konnte es wirklich Glück nennen, dass sich einmal ein Mädchen nach Meister Hicks verirrte. Ein glücklicher Zufall. Und ich freute mich, mal wieder eine Gelegenheit zu bekommen, mein Leben nicht nur allein zu gestalten. Doch meine Laune trübte sich, als die mahnenden Worte von meister Hicks wieder in meinem Hinterkopf kreisten. Zufälle gibt es nicht. Nein. Ob Zufall oder nicht. Ich musste die Gelegenheit nutzen.
„Ähm…Tut mir Leid.“ Brachte ich, halb stotternd und viel zu schnell, dass es jemand hören konnte aus meinem Mund hervor, der nur das zu machen schien, was er wollte. Ich versuchte zu Lächeln und selbstbewusst zu wirken, jedoch fühlte ich mich alles andere als das. Plötzlich kam ich mir hilflos und klein vor. Ich trug ein ungewaschenes Hemd, hatte mich heute nicht rasiert und mein Lächeln glich eher einer Grimasse. Peinlicher konnte es gar nicht mehr werden.
Das Mädchen lächelte ebenfalls, während meine Augen panisch den Raum absuchten, als würde ich schon meinen Fluchweg planen. Aber in Wirklichkeit versuchte ich jeden Augenblick den ich sie noch länger betrachten konnte in mir aufzusaugen und in mein Gedächtnis zu speichern. Unwohl, wie ich mich fühlte, versuchte ich sie dennoch zu beschreiben um mich später an sie zu erinnern.
Sie hatte braunes offenes Haar und blinzelte jedes Mal, wenn ihre Augen meine streiften. Das Mädchen strahlte eine reine Natürlichkeit aus und als ich bemerkte, dass ich sie attraktiv fand, zuckte ich abermals verlegen zusammen und schämte mich noch mehr. Ich war machtlos. Der Moment der Stille schien Stunden zu dauern und ich umschloss krampfhaft das Buch in meinen Händen. Ich spürte, dass ich es bald zerreißen würde, wenn nicht einer von uns etwas sagte. Nun mach schon. Sprich sie an…erzähl was. Doch, obwohl ich versuchte mich zu beherrschen, konnte ich nicht. Ich war einfach zu schüchtern, sodass ich auf der Stelle lief und ein weiteres Mal verlegen beiseite schaute.
„Kein Problem.“ Antwortete sie und wurde ebenfalls rot. Sie stammelte genau wie ich, doch das störte mich keinesfalls. Es machte sie nur noch sonderbarer. Ihre Wangen waren weich und nur leicht geschminkt. Ihre Stimme bildete eine Melodie in meinem Kopf und mischte einen anderen Duft zwischen den üblichen Gerüchen. Es war nur ein Hauch, doch ich konnte ihn mühelos zwischen all den Gerüchen erkennen. Er war rein und stärker als alles andere. Ein Duft nach frischem Sommer und einer Blumenwiese, die in voller Farbenpracht erblühte. Sie lies den Raum nur noch kleiner werden, als hätten die Bücher erkannt, dass sie nicht das schönste an diesem Ort waren.
Ich merkte wie ich schwitze und nicht weiter wusste. Erst machte ich den Mund auf um etwas zu sagen, doch dann lies ich den Gedanken wieder fallen und schloss ihn wieder zaghaft.
„Ich muss dann mal wieder“ sprudelte es aus mir heraus um den Moment nicht unangenehmer und länger zu machen, als er es sowieso schon war. Ich traute mich nicht einen Atemzug zu wagen und verfluchte mich in Gedanken, da ich nicht standhaft blieb. Das Mädchen wischte gekonnt eine Strähne aus ihrem Gesicht und antwortete mit einem Lächeln.
„Bis dann.“ Es folgte eine kurze Handbewegung, die wohl ein leichtes Winken andeuten sollte, doch mehr wurde nicht gesagt. Mehr musste auch nicht gesagt werden.
Dann schauten wir uns noch einmal tief in die Augen, bis wir beide merkten, dass noch keiner von uns gegangen war. Schließlich lächelte ich zaghaft und wir beide schlichen uns fast gleichzeitig aus dem Loch im Regal.
Ich ging nur ein paar Meter weiter und lächelte. Dann wurde das Lächeln zu einem Grinsen und das Grinsen zu einem Lachen. Zu einem lauten ausgelassenen Lachen. Ich hatte mich verliebt. Ich hatte mich tatsächlich verliebt. In ein wunderbares und wunderschönes Mädchen. Der Gedanken wuchs und wurde immer größer.
Plötzlich machte ich einen Satz in die Luft und piff ein Lied durch die Regale. Ich ging gelassen weiter und wenn es jemand gewagt hätte mir gegen über zu treten, hätte ich ihn sofort umarmt. Ich hätte jeden Umarmt. So glücklich wie jetzt fühlte ich mich noch nie. Inständig hoffte ich sie wieder zu sehen. Vielleicht würde sie ja in der Buchhandlung nach mir fragen und dann… Ich blieb instinktiv stehen und dachte nach. Auf einmal erlosch meine Heiterkeit und ich erschreckte. Ein grässlicher Gedanke verdrängte die gute Laune. Sie kannte meinen Namen nicht.
Der Teppich unter mir bildete große Falten, als ich plötzlich los sprintete und mich umdrehte. Unter meinen Füßen bebte der Boden und lies das ganze Haus erzittern. Ich brachte all meine Kraft auf und gelangte hechelt wieder zu dem Loch im Regal.
„Robert!“ Sagte ich Laut, nachdem ich wieder Luft bekam und hoffte, dass sie noch immer da war. Doch ich sah nur das Regal gegenüber, das mich mit seinen Büchern angrinste. „Mein Name ist Robert“ flüsterte ich nun leise und senkte den Kopf. Die Enttäuschung zeichnete sich auf meinem Gesicht ab. Ich seufzte leise und verschloss wieder die Bücherlücke im Regal.
Was bildest du dir eigentlich ein? Schließlich war mein Leben nicht irgendein Liebesroman, indem jede Begegnung vorbestimmt ist und sich die Hauptpersonen gleich auf dem ersten Blick verlieben. Dieser Gedanke war viel zu absurd. Ich bin kein reiches Kind, dass immer glück hat. Ich bin ein Weise. Ein Kind, das niemand wollte. Meister Hicks hatte mich doch gerade erst gefeuert. Ich sollte mich nicht mit fremden Mädchen beschäftigen, die ich sowieso nie wieder sehe, sondern einen Plan stricken um aus diesem komplizierten Leben zu entfliehen.
Ich hob ein Buch vom verstaubten Teppich unter mir auf und betrachtete es. Nun wurden die Bücher verschwommen und boten mir nicht die übliche Wärme und Geborgenheit. Ich konnte mich selbst hier nicht vor der Wahrheit verstecken.
Was bildete ich mir eigentlich ein? Ich hasste diese Bücher. Ich verabscheute sie. Nie hatte ich sie wirklich geliebt. Warum musste mich Hicks feuern? Wusste er nicht, dass er damit mein Leben zerstörte? Warum?
Eine Träne zeichnete sich auf meinem Gesicht ab. Ich blinzelte sie weg und schaute aus dem verblassten Fenster, dass die Welt hinter den Büchern zeigte. Ein bitterer Geschmack lag in der Luft. Wann würde ich diese Welt je verstehen? Egal was ich tat. Es war falsch.
Das Spiegelbild, das sich im leicht gelblichen Fenster vor mir offenbarte war erschütternd. Meine Augen lagen tief in den Höhlen und mein Gesicht zeigte die völlige Erschöpfung. Der Stress zerrte an meiner Substanz und lies mich im Zeitraffer altern. Ich war nur noch Haut und Knochen und meine struppigen Haare, hätten einem Bettler alle Ehre gemacht.
Tief in mir staute sich eine Wut auf. Eine Wut auf Hicks und seine Bücher, aber besonders eine Wut auf die Polizei, die mir mein Leben zu Hölle machte.
Wieder schaute ich das Buch in meinen Händen an. Diesmal mit Abscheu. Selbst die bedruckten Seiten lachten mich aus. Um meine Frust loszulassen hob ich meine Hand. Ich wollte das Buch auf den Boden zu schlagen und öffnete meinen Mund um mir die Seele auf den Leib zu brüllen. Ich wollte schreien, schreien so laut ich konnte. So laut, dass die Bretter unter mir zittern würden. Ich würde schreien und alles vergessen. Doch ich konnte es nicht. Ich holte tief Luft und hielt ich inne. Dann rutschte das Buch aus meine Hand und ich lies mich auf ein Sofa hinter mir fallen, sodass eine große Staubwolke den Gang verhüllte.
In meinem Kopf beschwor ich wieder die grausige Begegnung herauf.
Er hatte mich nach oben geschickt. In sein Büro. Es befand sich auf den Dachboden und war so klein wie eine Kammer. Dort hatte er mich ohne große Worte hereingebeten und mir die Lüge direkt ins Gesicht gesagt. Mit einer aufgesetzten Miene, versuchte er Ernst zu bleiben, doch ich wusste, dass er es nicht konnte. Ich hatte ihn geliebt wie ein Sohn seinen Vater und das wusste er nur zu gut. Er schob die Brille, die auf seiner Nase thronte hoch und musterte mich mit einem langen prüfenden Blick. Dann bot er mir einen Sessel an und lief wie ein Löwe in einem Käfig um mich herum. So eingebildet wie heute hatte ich ihn noch nie erlebt.
„Robert, Sie sind ein junger Mann, der noch viel in seinem Leben vorhat. Ich möchte sie nicht aufhalten. Jenkis arbeitet genug für mich und ich kann mir einen zweiten Gesellen nicht Leisten. Sie sind entlassen.“
Dann hatte ich ihn ungläubig angestarrt, eine Erklärung gefordert, die sein Verhalten rechtfertigen würde. Doch Hicks verzog seine Lippen zu einem flüchtigen Lächeln und schickte mich vor die Tür. Das war es. Er zog mich auf und teilte mir sein ganzes Wissen mit. Siebzehnjahrelang und dann das. Manchmal taten Menschen Dinge, die keiner erklären konnte.
„Na? Immer noch hier?“
Die schräge Stimme von Jenkis weckte mich aus meinen Halbschlaf. Ich schlug schockiert die Augen auf und starrte in sein markantes Gesicht und seine buschigen Augenbraun. Genüsslich grinste er mich an und genoss die Erniedrigung. Er stellte sich breitbeinig mit einem Lappen in der Hand vor mir auf und schaute auf mich herab. Eine Narbe, die sich über seine rechte Geschichtshälfte erstreckte stach mir in die Augen und lies mich erschaudern.
„Was weißt du schon.“ Gab ich genervt zurück und wies ihn mit einer Handbewegung an zu gehen. Ich versuchte gelassen zu bleiben, sodass er schnell seinen Spaß verlor. Er tat so als würde er die Regale abstauben und betrachtete mich im Augenwinkel. Dann lachte er.
„Hast du wieder ärger mit den Bullen?“ Wieder schenkte er mir ein breites grinsen und schien die Stichelei in meinen Angelegenheiten zu lieben. „Der Inspektor hat heute für dich angerufen. Er will dich sprechen. Na, was hast du wieder gemacht?“
Ohne groß nachzudenken fasste ich den Entschluss zu gehen. Ich hatte hier genug zeit verbracht. Siebzehnjahre waren eine lange Zeit. Jetzt musste ich hier raus. Ich und erhob mich aus dem Sessel und lies den verblüfften Jenkis in dem Gang stehen. Mit erhobenen Kopf Schritt ich an ihm vorbei und ignorierte seine albernen Versuche mich aufzuhalten.
„Dann soll er es später versuchen. Ich bin beschäftigt.“ Sagte ich schließlich und verschwand.
Zügig passierte ich die Bronze Statuen am Hauptgang und polterte die große Treppe zum Eingang hinunter. Die Löwen- und Adlerköpfe starrten mich an und folgten meinen Schritten als ich von hinten noch Jenkis Rufe hörte.
„Du kannst nicht immer weglaufen Robert. Irgendwann gibt es kein zurück mehr!“
Ich unterdrückte meine Wut und löste meine Hand, die sich während des Gesprächs immer fester zu einer Faust ballte. Irgendwann würde ich es ihm zeigen. Nur nicht heute. Für heute würde ich mich in eine dunkle Kammer einschließen, eine Tasse Kaffe trinken und warten bis die Welt wieder normal geworden ist und nicht versuchte mich ständig zu überfordern.
Doch es sollte anders kommen.
Als ich die Ladentür passierte und überlegte in welche Richtung ich gehen musste sah ich sie wieder. Gerade hatte ich mein Hemd zugeknöpft und atmete tief aus um mir kurz eine Pause zu gönnen, da blieben meine Augen an einem kleinem Mädchen mit einem bunten Shirt und einer leicht zerfetzen Jeans haften. Sie lehnte an der Backstein Wand eines Kleinen Schreiners und ging auf mich zu. Ihre Haare wehten im leichten Sommerwind und ihr Schritt war entschlossen. Wie Peter Pan, der Junge, der nie Erwachsen werden wollte, stellte sie sich vor mir und hielt mir ihre Hand hin.
„Robert nicht war?“
Trotz ihres Auftritts war ihre Stimme dennoch etwas zaghaft und lies sie jünger erscheinen, als sie es wahrscheinlich war. Ich lächelte und erwiderte den Gruß. Wir schauten uns lange in die Augen, bis sie sich wieder entfernte und in Richtung Straße deutete.
„Mein Name ist Kathy.“ Sie machte eine Pause und grinste breit. „Du siehst aus als könntest du eine Tasse Kaffe vertragen.“
Ich blieb einen Momenten zögerlich stehen und starrte auf die Buchhandlung hinter mir. Das Schild mit dem golden Rahmen „Meister Hicks- Das Schicksal wartet.“ knarrte in dem leichten Luftzug der durch die Straßen pfiff und ich meinte ein Gesicht auf den obersten Fenster gesehen zu haben. Dort bei Hicks Büro. Ich blinzelte, doch dann verschwand es wieder. Zum letzen Mal seufzte ich und schüttelte den Kopf. Eine Wolkenfront schob sich gen Stadt. Bald würde es ein Unwetter geben. Die Buchhandlung von Meister Hicks würde ich für immer hinter mir lassen.
Ich schaute sie wieder an und rückte meinen Kragen zurecht. Dankbar für eine Ablenkung nickte ich zufrieden und folgte ihr durch die Gassen der Altstadt im Wissen eine Welt hinter mir gelassen zu haben, die mich schon bald wieder einholen würde.

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